Raffinerie Schwechat – Quelle: Dimitry Anikin / Unsplash

Tankstellen-Verband kritisiert dominante Stellung der Ölkonzerne

Unberechenbare Preisbewegungen an deutschen Zapfsäulen und zu hohe Kosten in Tankstellen-Läden bereiten dem Tankstellen-Interessenverband (TIV) erhebliche Sorgen. Der Verband sieht sowohl Endkunden als auch Tankstellenbetreiber durch diese Entwicklung benachteiligt und verlangt ein sofortiges Ende dieser „kartellrechtlich fragwürdigen Praktiken“. Geschäftsführer Jochen Wilhelm betonte in Berlin, dass Bundesregierung, EU-Kommission und das Bundeskartellamt dringend eingreifen müssten.

Nach Verbandsangaben repräsentiert der TIV etwa 700 Mitglieder, die gemeinsam ungefähr 1.000 Tankstellen in Deutschland führen – überwiegend als Pächter.

Tägliche Preiskapriolen ohne erkennbaren Grund

Wilhelm kritisierte scharf: „Kraftstoff- und Shopbereich der Tankstellen gehören ins politische Blickfeld.“ Die Konzerne würden in beiden Geschäftsbereichen ihre dominante Marktstellung rücksichtslos ausnutzen. „Mehrmals täglich ändern sich die Preise völlig unvorhersagbar“, erklärte Wilhelm und bezeichnete dies als „Preischaos“. Diese ständigen Preissprünge stünden in keinerlei Zusammenhang mit dem oft tagelang stabilen Weltmarktpreis für Öl, so der TIV.

Eine aktuelle Datenanalyse des Vergleichsportals benzinpreis.de von über 14.000 deutschen Tankstellen offenbarte das Ausmaß dieser Preisvolatilität: Zwischen dem 12. und 18. Mai meldeten mehr als 11.000 Tankstellen Preise, die zum Teil nur 15 Minuten Bestand hatten. Bei 3.851 Stationen waren einzelne Preise sogar weniger als fünf Minuten gültig. Der TIV kommentierte: „Die einzelnen Tankstellenpächter haben keinerlei Einfluss auf die Spritpreisgestaltung. Sie schauen ebenso verwundert aus dem Fenster wie die Autofahrer, wenn die Mineralölriesen wieder einmal die Preise durcheinanderwirbeln.“

Kartellamt prüft bereits Wettbewerbsprobleme

Das Bundeskartellamt hatte bereits im Frühjahr angekündigt, mögliche Wettbewerbsverzerrungen im deutschen Kraftstoffgroßhandel unter die Lupe zu nehmen. Dabei stehe die Frage im Mittelpunkt, „ob der Kraftstoffgroßhandel von erheblichen und dauerhaften Wettbewerbsstörungen betroffen ist“.

Im Shopbereich diagnostiziert der TIV eine „zweifache Wettbewerbsverzerrung“, da die Konzerne durch versteckte Zwischenprovisionen die Beschaffungskosten der Ladenprodukte künstlich in die Höhe treiben und dadurch mehrfach vom Shopgeschäft profitieren. Die Pächter seien gezwungen, ihre Waren nicht frei am Markt zu beschaffen, sondern müssten überteuerte Produkte von konzernbestimmten Lieferanten beziehen. Dies habe mit freier Marktwirtschaft nichts gemein – das unternehmerische Risiko läge dennoch vollständig bei den Pächtern.

Konkret hat der TIV eine Verbandsklage gegen Shell eingereicht, deren Schwerpunkt die „problematischen Beschaffungsbedingungen“ bilden. Shell zwinge seine Pächter dazu, 90 Prozent ihrer Shopprodukte von der konzerneigenen Tochtergesellschaft Carissa zu beziehen. Dort lägen die Einkaufspreise jedoch um 70 bis 110 Prozent über dem Marktniveau.

Shell weist Vorwürfe zurück

Eine Shell-Sprecherin wies diese Anschuldigungen als unverständlich zurück. „Besonders unklar bleibt, auf welchen Daten diese Behauptung basiert. Bei Preisvergleichen müssen auch die erbrachten Dienstleistungen berücksichtigt werden, beispielsweise aufwendige Logistik und detaillierte Warenwirtschaftssysteme, die im bezahlten Entgelt enthalten sind.“

Das Geschäft mit Lebensmitteln und anderen Produkten gewinnt für Tankstellen zunehmend an Bedeutung. „Der Shop ist das Herzstück des Geschäfts“, erläuterte Wilhelm. Etwa 60 Prozent der Bruttoerträge der Pächter großer Mineralölkonzerne stammen bereits heute aus dem Verkauf von Shopwaren. „Gegenwärtig und künftig noch stärker handelt es sich um ‚Shops mit angeschlossener Tankstelle‘ und nicht mehr um ‚Tankstellen mit kleinem Laden'“, fasste der TIV die Entwicklung zusammen.